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sie unten die leisen Wellen flüstern und lauschten eine Weile. Dann sagte Rico:

„Siehst du, Stineli, wenn du nicht da wärst, so ginge ich gleich fort, weit fort, aber ich wüßte auch nicht wohin. Ich muß doch immer ein Heimatloser sein und mein ganzes Leben lang so in Wirtshäusern geigen, wo sie lärmen, wie wenn sie von Sinnen wären, und in einer Kammer schlafen, wo ich lieber nicht mehr hineinginge; und du gehörst nun zu ihnen in das schöne Haus, und ich gehöre nirgends hin. Und siehst du, wenn ich da hinabsehe, so denke ich: hätte mich doch die Mutter hier hineingeworfen, ehe sie sterben mußte, so wäre ich kein Heimatloser geworden.“

Stineli hatte mit Kummer im Herzen dem Rico zugehört; aber wie er diese letzten Worte sagte, da bekam es einen großen Schrecken und rief aus: „O Rico, so etwas darfst du gar nicht sagen. Du hast gewiß lange dein Unser-Vater nicht mehr gebetet, darum sind dir diese bösen Gedanken gekommen.“

„Nein, ich habe es nicht mehr gebetet, ich kann es nicht mehr.“

Das war dem Stineli ein erschreckliches Wort.

„O, wenn das die Großmutter wüßte, Rico“, rief es jammernd aus, „sie müßte noch einen rechten Kummer für dich ausstehen. Weißt du, wie sie gesagt hat: 'Wer sein Unser-Vater vergißt, dem geht es schlecht!' O komm, Rico, du mußt es wieder lernen, ich will dich's gleich lehren. Du kannst es bald wieder.“

Und Stineli fing an und sagte mit warmer Teilnahme seines Herzens zweimal hintereinander dem Rico das Unser-Vater vor. Wie es nun so tief beteiligt den Worten

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Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_111.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)