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man könne sich denken, wie es da zugehen müsse, wenn ein zartes Büblein, wie der Rico, lieber den größten Gefahren entgegenlaufe und sie bestehe, als unter solchen Leuten zu bleiben. Wenn alles anders wäre, fügte Frau Menotti hinzu, so wäre ihr kein Geld zu viel, so ein Mädchen kommen zu lassen, um dem Silvio das Verlangen zu stillen und jemand für ihn zu haben, denn manchmal werde es ihr fast zu viel mit allem, was sie zu tragen habe, und sie meine, sie könne nicht mehr fortkommen. Und der Rico, der sonst recht vernünftig rede, meine, kein Mensch könne ihr so gut in allem beistehen, wie dieses Stineli. Er müsse es gut kennen, und wenn es so sei, wie er es beschreibe, so könnte es auch noch eine Rettung sein für so ein Mädchen, wenn es von da droben wegkomme; aber da wüßte sie ja von keinem Menschen, der ihr einen solchen Dienst tun würde.

Der Herr Pfarrer hatte ganz ernsthaft zugehört und kein Wort gesagt, bis die Frau Menotti fertig war. Er hätte auch nicht gut dazwischenkommen können mit Worten, denn sie hatte ihr Herz lange nicht ausgeschüttet und es war ihr so voll geworden, daß Frau Menotti bei dem großen Andrang der Worte fast um den Atem gekommen war.

Als nun alles still war, nahm der Herr Pfarrer erst ganz ruhig noch eine Prise zu der vorhergehenden; dann sagte er gelassen:

„Hm, hm, Frau Menotti, ich glaube fast, Ihr habt von den Leuten da droben eine Meinung, die fast erschrecklich ist; es gibt doch auch noch Christen da, und seit man so allerhand Mittel erfunden hat, um weiter zu kommen, wird es auch noch möglich sein, daß einer ohne Gefahr dort hinaufkommt. Das wird man etwa in Erfahrung bringen können, man muß sich besinnen.“

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Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_085.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)