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„Nach Peschiera am Gardasee“, war Ricos ernsthafte Antwort.

Jetzt entfuhr dem Kutscher ein so kräftiges Gelächter, daß der Rico ganz erstaunt zu ihm aufschauen mußte.

„Du bist ein guter Fuhrwerker, du“, lachte der Kutscher noch einmal; „weißt du denn nicht, wie weit das ist, und daß ein schmales Musikäntlein, wie du eins bist, sich beide Füße mitsamt den Sohlen durchlaufen würde, bevor es noch einen Tropfen Wasser vom Gardasee gesehen hätte? Wer schickt dich denn dort hinunter?“

„Ich gehe selber aus mir“, sagte Rico.

„Ein solcher ist mir noch nicht vorgekommen“, lachte der Kutscher gutmütig. „Wo bist du daheim, Musikant?“

„Ich weiß es nicht recht, vielleicht am Gardasee“, erwiderte Rico völlig ernsthaft.

„Ist das eine Antwort!“ Jetzt schaute der Kutscher den Knaben vor sich genau an. Wie ein verlaufenes Bettelbüblein sah der Rico nicht aus. Der schwarze Lockenkopf über dem Sonntagswämschen sah ganz stattlich aus, und das feine Gesichtchen mit den ernsthaften Augen trug einen edlen Stempel und man schaute es gern noch einmal an, wenn man es gesehen hatte.

Dem Kutscher mochte es auch so gehen, er schaute den Rico fest an und dann noch einmal erst recht, dann sagte er freundlich: „Du trägst deinen Paß auf dem Gesicht mit, Büblein, und es ist kein schlechter, wenn du schon nicht weißt, wo du daheim bist. Was gibst du mir nun, wenn ich dich neben mich auf den Bock nehme und dich weit hinunterbringe?“

Rico staunte, als wäre es fast nicht möglich, daß der Mann diese Worte wirklich ausgesprochen habe. Auf dem hohen

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Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_048.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)