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Gesicht war friedlich, um die klare Stirn und die leicht geschlossenen Augen schwebte ein sonderbarer Schimmer. Die Unterlippe war ein wenig eingezogen, wie im letzten Schmerz. In ihrem gewohnten schwarzen Kleide saß sie da, mußte sie die ganze Nacht so gesessen haben. „Ein Herzschlag,“ sagte der Student, und er schickte die Kathi nach dem Arzt.

Dann setzte er sich auf das Sopha in dem hübschen grünen Zimmer und betrachtete die Todte. Sie sah so klug aus. Er dachte auch an das Geheimniß. Nun gibt sie’s gewiß nicht mehr heraus, diese kleine sanfte Alte, und so – Ein leichter warmer Windstoß fuhr durchs offene Fenster über den Schreibtisch und blies ein Blatt hinunter; es tauchte auf wie ein Schmetterling, dann huschte es auf den weichen Teppich und lag bewegungslos zu den Füßen des Studenten. Er haschte verloren danach, blickte darauf, staunte, blickte noch einmal und las die Seite hinunter, dann die folgende halbe.

Sein Wesen war verwandelt, er sprang auf, lief an den Schreibtisch, überflog hastig die dort verbreiteten Papiere. Da! auseinandergestreut neben dem Bronzeleuchter, auf dem die Kerze ganz herabgebrannt war, bekannte Züge – seine Gedichte! Die Schieblade stand noch offen, der Schlüssel hing daran – eben entnommen, wahrscheinlich um verbrannt zu werden, seine Verse an die Unbekannte! Also wer war sie nun gewesen?

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Ilse Frapan: Flügel auf!. Paetel, Berlin 1895, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Fl%C3%BCgel_auf_Frapan_Ilse.djvu/81&oldid=- (Version vom 19.8.2019)