„Ja! Regen Sie sich nicht auf, ich bin das gewöhnt; ich hab’ das mit offenen Augen auf mich genommen, als ich Malerin wurde.“
„Aber das ist ja schrecklich, Fräulein!“
„Warum schrecklich? Ich weiß ja nicht, ob ich morgen lebe, weshalb muß ich’s denn ganz genau wissen, daß ich morgen esse?“ Ein kühner stolzer Ausdruck verschönte ihr Gesicht. „Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muß.“
Sein Blick glitt über ihr blasses Gesicht, über die dünnen Kleider, über dies malerische, aber winddurchpfiffene Gelaß unterm Dach, und Theilnahme, dazu Besorgniß, sie zu beleidigen, schlossen ihm den Mund.
„Es kommt wieder besser,“ sagte sie, als müsse sie ihn ermuthigen, „im Ganzen hab’ ich nie besonders Pech gehabt. Nur in diesem Gauting“ – sie stampfte mit dem Fuß auf – „und ich hatte so schöne Pläne für den Winter, der nun recht dürr und kümmerlich vor mir liegt.“
„Schöne Pläne?“
„Sehen Sie, ich hab’ eine Schwester in England, die ist Lehrerin da, sehnt sich aber seit Jahr und Tag hierher zurück, – wir wollten zusammen leben, ich hätte Jemand gehabt, der sich mit mir freut, wenn mir etwas gelingt, oder wenn ich etwas verkaufe. Es ist so langweilig, sie immer dort, ich hier allein –“
Ilse Frapan: Flügel auf!. Paetel, Berlin 1895, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Fl%C3%BCgel_auf_Frapan_Ilse.djvu/189&oldid=- (Version vom 31.7.2018)