meines Standes und Berufs Produkt eben dieser gleichartigen Bildungs- und Anschauungssphäre, ich bin Naturwissenschaftler, Anhänger der Evolutionstheorie – –“
„Aber daneben doch auch ein Mensch?“
Er machte eine Bewegung, als ob er eine Fliege verscheuche, die ihm um die Nase summte. „In erster Linie und wohl auch in letzter Gattungsgeschöpf,“ schloß er emphatisch. Als er merkte, daß sie verstummt war, kam ein befriedigtes Lächeln in sein Gesicht. „Ja, ja, wir müssen unseren Stolz dahin fahren lassen, mein Fräulein, und wenn Sie mich auch noch so zornig anblicken aus Ihren schwarzen Augen. Der Einzelne hat heut keine andre Bedeutung, als in der Masse aufzugehen. Wir sind nur Durchgangspunkte. Unsere Wissenschaft macht sehr bescheiden.“
Sie schüttelte ernst den Kopf. „Mich nicht; mich interessirt nur das Individuum, nur der Einzelfall uns, ob es ein Bild gibt, ein Höheres, Bleibendes nach der flüchtigen sterblichen Erscheinung. Massenindividualitäten – dabei kann ich mir nichts denken. Es müssen doch immer einzelne Köpfe hervorragen, auf die das Licht fällt. Und diese bestimmen die Physiognomie des Haufens, nicht der Haufe ist’s, der sie ihnen gibt –“
„Sie leugnen den Einfluß des Milieus, des Zeit-, Orts-, Berufs-, Bildungsmilieus, das den Menschen macht?“ rief er bestürzt, fast mitleidig, als ob er sie auf einer falschen Kasusbildung ertappt hätte.
Ilse Frapan: Flügel auf!. Paetel, Berlin 1895, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Fl%C3%BCgel_auf_Frapan_Ilse.djvu/119&oldid=- (Version vom 31.7.2018)