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herunterrutschte, so schien er todt seyn zu müssen. Nun fing’s auch in dicken Flocken zu schneien an.

Wir stärkten uns wieder durch lauten Zuruf, stießen die Bergstöcke ein, schoben uns guten Muthes über die ganze Bedenklichkeit hinauf und freuten uns, als sie überwunden war. Hagel und Schnee hatten indessen die unbequemste Nässe herbeigeführt; alle Felsplatten tropften, in allen Rinnen floß es, jeder Tritt auf dem schlüpfrigen Boden wurde unsicher, die Schuhe füllten sich mit Wasser. Endlich noch eine neue Beschwerde: das Schneien hörte nämlich um diese Zeit auf und es trat dafür ein tüchtiger Regen ein, dergestalt, daß es im ganzen Gebirge zu patschen anhob. Solch’ ein Gießen hätte den ruhigsten Zeitungsleser, der tief unten in den deutschen Städten am Kaffeehausofen sitzt, verdrießlich angeregt – wie mußt’ es erst uns zu Herzen gehen, die wir fast 9000 Fuß über dem Meere kletterten, fern von allen Dächern, fern von allen Oefen und, was wir dazumal am leichtesten vermißten, noch ferner von allen Zeitungen!

Als wir von dem Schneefelde noch etwas aufwärts gekommen, tauchten aus Nebelgewölke Jesus, Maria und der heilige Johannes auf; Jesus am Kreuze hängend, Maria und Johannes ihm zur Seiten, alle drei aus Holz geschnitten und dorthin gestellt als Wahrzeichen des Joches. So waren wir also auf der Wasserscheide, auf der Höhe des Krimlertauern, hinter uns Salzburg, das Erzstift, vor uns Tirol, die Grafschaft, um uns das scheußlichste Wetter. Wie an dem Posthause auf dem Brenner die eine Dachrinne ihr Wasser ins schwarze, die andre das ihrige ins adriatische Meer versendet, so war’s jetzt auch mit der Traufe von unsern Hüten – schüttelten wir den Kopf südwärts, so rann das Gewässer in den Ahrenbach und mit diesem in die Rienz und mit dieser in die Etsch und kam dann in die Lagunen von Venedig, neigten wir aber das Haupt gegen Norden, so floß das Bächlein, das aus der Hutkrempe herabstürzte, in die Krimlerache und mit dieser in die Salzach und dann in die Donau und vereinigte sich zuletzt mit dem Pontus Euxinus. Dieses Gedankenspiel gewährte indessen wenig Trost in unsern

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 593. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_601.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)