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verehrt wurde. Die Waldrast ist am Serles in der Höhe zwischen Mieders und Matrei gelegen, eine prächtige Berggegend. Den Ort hat Balde durch eine Ode gefeiert, welche von Herder übersetzt wurde. Auf dieser Stelle erhob sich vor Jahrhunderten eine Wallfahrt. Es kam nämlich vom „großen Weib im Himmel“ gesandt ein Engel auf die Waldrast, der einen hohlen Lärchenstock im Namen der Muttergottes ansprach: du stockh sollest der frauen im himmel bild fruchten, dan balt wird do ein kirchfart aufkommen. – Das Bild wuchs nun im Stocke und ward zuerst am Ostersamstag 1407 von zwei frommen Hirtenjungen erblickt, und sofort in die Kirche zu Matrei versetzt. Wie nun die Capelle auf der Waldrast gegründet worden, dieß erzählt das gleichzeitige U. L. Frauen- Protokoll in sehr naiver Weise. Der Anfang besagt, daß ainer tzü Matray ist gesessen mit Namen Christan Lusch saliger, tzü dem ist kommen ain stymm an ainer pfintztag nacht, als er an seinem pett lag, dye redt mit ihm tzü dreyn maln und sprach: slaffestu, da antwurt er und fragt: wer pistu oder was wildu? da sprach die stymm: ich bin ein stymm. – In dieser muntern Art geht es fort und wir erfahren weiter, daß dem guten Christian die Aufforderung ward, eine Kirche zu bauen und daß ihm, als er in den Wald gegangen und entschlafen war, eine hohe Frau in weißem Kleide mit einem Kinde im Arme erschien und die Stätte anzeigte, wo das Gotteshaus erbaut werden sollte. Es erschwang sich bald zu ungemeinem Ansehen, denn die Muttergottes bewies sich außerordentlich wunderthätig. Von Herzog Sigmund an begannen auch die Landesfürsten und die Glieder des Kaiserhauses sich mit besonderm Vertrauen der Wallfahrt zuzuwenden und ihr Spenden aller Art zu verehren. Drum entstand auch mit der Zeit ein Servitenkloster dort. Noch Maria Theresia hat das Bild auf der Waldrast mit Geschenken begabt, ihr Sohn dagegen 1785 das Kloster aufgehoben. Im Herbste jenes Jahrs ward das Gnadenbild nach Mieders übersetzt, aber durch seine Entfernung aus dem Orte, wo es fast vier Jahrhunderte gewirkt hatte, ging das Vertrauen des Volkes und so auch viel von dem Rufe seiner Wunderkraft

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 496. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_504.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)