Seite:De Drei Sommer in Tirol (Steub) 485.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Fernerbäche sausen noch um das erstorbene Haupt, das sie einst in den schrecklichen Tod einlullten.

Buchenstein, das Dorf, die Pieve di Livinalongo, wie die Eingebornen sagen, der Sitz des Landgerichts, liegt gebieterisch auf dem Vorsprunge eines Abhanges, gegenüber von hohen schön bewaldeten Bergen, links die Aussicht auf die Giuitta, rechts der Blick gegen Varda hin, das in lieblich grüner Schlucht liegt – mitten durch die Landschaft und gerade unter dem kleinen Dorfe vorbeiziehend eine schauerliche stundenlange Kluft, durch welche der Cordevole dahin strömt. Von ebenen Plätzen ist hier nichts zu sehen, überall steigende Felsen und schwarze Wälder. Nur die Halde um das Dorf her prangt mit Wiesen und Kornfeldern und verliert sich oben hinauf in steilen Waldhang, gegen unten in jähen Absturz zum Wildbache. In dieser Tiefe ist ein schöner Wasserfall. Die Kirche hat einen alten, mit romanischen Säulenfensterchen gezierten Thurm, welcher sieben Glocken trägt, die einen besonders schönen Klang erschallen lassen, und zwar deßwegen, weil die Weiber einst ihre Ringe von Gold und Silber in die Glockenspeise geworfen haben sollen. Das Dorf besteht aus einem Duzend Häusern, worunter drei Gasthöfe. Das besuchteste, am meisten herrenmaßige ist das des Herrn Vinazers, der ursprünglich aus Gröden eingewandert ist und die Gäste nach Kräften und sehr billig bedient. Der Wein, der hier getrunken wird, kommt von Bassano, ist von guter, starker Beschaffenheit und einer dunkeln lockenden Goldfarbe. Auf dem Platze steht ein großes, graues, alterthümliches Giebelhaus, das stattlichste des Dörfchens, mit mittelalterlichen Fenstergittern von oben bis unten; dieß ist der Ansitz der Sisti von Sisthofen. Man muß nämlich nicht glauben, daß Buchenstein, das abgelegenste Gerichtchen in ganz Tirol, nicht auch seine vornehmen Herren gehabt; denn da sind außer den Sisti von Sisthofen, den Grones von Gronsberg, den Herren von Varda und Soratroi, von Chizzeli auch die Herren von Piazza erwachsen, die jetzt Grafen von Platz heißen. Der Ort ist der steilen Lage wegen im Winter den Lahnen aufs gefährlichste ausgesetzt und daher soll er seinen Namen Livina longo,

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 477. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_485.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)