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zusammenfinde, so belächelt ihn! In der Poesie gibt’s keine Anachronismen, nur die Wirklichkeit ist voll davon; für Autoritätsmenschen haben wir sogar den Trostspruch zur Hand daß schon die größten Baulichter der Gegenwart bewundernd vor der Krippe gestanden sind.

Wohin aber jetzt, um den mächtigen Eindruck ruhig auswirken zu lassen? So großartig schön der Thalkessel von Bozen auf allen Seiten ist, so fehlt doch jene angenehme Bequemlichkeit, seine Reize lustwandelnd einzuschlürfen, und jener leichte Zugang, der die Gegend von Meran doppelt anziehend macht. Außerhalb der Stadt, jenseits der Talferbrücke ist ein kurzes Lustwäldchen, wo an Sonntagen die Jägermusik aufspielt, zu gleicher Zeit ein Sammelplatz der schönen Welt; sonst ist in der Ebene wenig zu finden. Die Weingärten sind nach italienischer Sitte mit hohen Mauern umgeben die den Ausblick hindern, und zwischen diesen Wänden gehen die Wege durch in langweiligster Begleitung. Andrerseits steigen die Porphyrwände allenthalben steil hinan, so daß sie bei der Hitze der guten Jahreszeit nur in früher Morgenstunde und am späten Abend mit erträglichem Schweiß und Herzklopfen zu erklettern sind. Der mildeste solcher Steige etwa zieht zum Calvarienberge hinauf, wo das Kirchlein zum heiligen Grabe auf mäßiger Höhe über dem Eisack liegt; beschwerlicher schon ist das Aufklimmen nach dem alten Schlosse Haselburg oder Küepach, das jetzt allmählich zerbröckelt. Von beiden geht eine herrliche Aussicht über die Stadt hin, auf die Weinhügel von Kaltern und die rothe Mendel welche darüber aufsteigt, ins Meranerthal aufwärts und gegen die blauen Anfänge von Italien abwärts. Auf dieser Seite des Eisacks führt auch ein schmaler Pfad, zwischen Wasser und Berg eng sich hinwindend, nach dem Dörfchen Campill, eine halbe Stunde weit entlegen, wo in der alten Kirche alte Wandmalereien italienischer Schule zu sehen sind, die derselben Zeit angehören wie jene welche die stille Kirche St. Johann am obern Ende der Stadt ausschmücken. So viel uns bekannt, sind diese Werke alten etschländischen Pinsels von Kunstverständigen noch nicht

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_389.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)