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an altitalienische Baukunst. Außerhalb stehen ragende Cypressen um die dunklen Mauern. Die Burg in ihrer Stille und dem unversehrten, lombardischen Aussehen hat etwas Mährchenhaftes. Auch Fragsburg, die höchste in der Meraner Gegend, weithin gesehen auf dem buschigen Felsenvorsprung, ist solchen Schlages, und nicht minder das Schloß von Auer, das verborgenste von allen, hinten im heimlichen schattigen Winkel über der grausen Schlucht des Finelebaches. Es geht dahin ein sehr anmuthiger, einsamer Spaziergang über die kleine Hochebene von Tirol unter großen Obstbäumen. Neben diese feinen, wälschen Bauten stellt sich eine ungeschlachtere deutsche Art, worunter besonders Gayen hervorzuheben, das hoch ober Mais auf dem Freiberge liegt und der Stadt eine breite hohe Mauer zuwendet, über welche ein dicker Thurm aufragt. Vorst, oben an der Töll, gehört auch zu dieser deutschen Gattung. Es ist fast schwarz geworden vor lauter Alterthum. Man tritt in ein winziges Höfchen und steigt dann die steinernen Treppen auf und ab durch enge Gänge, aus denen die finstern Stuben zugänglich sind. Eine darunter, die Wohnstube der jetzigen Bestandsleute, ist mit Holz getäfelt wohl seit Jahrhunderten her. Oben an der Decke ersieht man zwei Kreuze eingeschnitten und diese bedeuten, daß darunter einst ein Ritter von Vorst seinen Bruder erstochen habe und das Blut des Ermordeten bis an die Decke gespritzt sey. Friedrich Mercey, derselbe welchem wir den fameux lac de Gewester verdanken, hat daraus eine lange, pathetische Geschichte gemacht, die er uns als dem Volke abgelauscht anvertrauen will, was um so lächerlicher, als die Sage, wie sie von den Leuten erzählt wird, in zwei Worten abgethan ist. Nach ihm aber hat der alte Herr von Vorst keinen männlichen Leibeserben, sondern nur eine Tochter. Er quält daher mehr als billig seine Frau Gertrude, welche, um diesen Drangsalen ein Ziel zu setzen, in einer nahen Höhle den dort wohnhaften berühmten Nekromanten besucht. Neun Monate darnach ertönt ein entsetzlicher Schrei im Schlosse; die Dienerschaft eilt herzu, findet die Burgfrau todt, aber neben ihr zwei neugeborne Knaben, die sogleich deutliche Zeichen eines

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 338. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_346.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)