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Dorfe Oetz zum Wanderstabe gegriffen hatten und nachdem wir noch den ermüdenden Gang zum Wasserfalle bei Umhausen gemacht, und zur Erquickung lediglich ein zartes Forellenpaar gekostet, nachdem wir den Tag über im heißen Sonnenbrand an den nackten Felsenwänden heraufgegangen, ohne weiteres zu essen und zuletzt noch dem Fuhrmann seinen Karren über die Steig hinauf geschoben hatten, kamen wir mit etwa zehn Stunden in den Beinen bei einbrechender Nacht sehr hungrig in Sölden an und verlangten in einfachen Worten, sie möchten uns Schweinsrippchen oder Hammelbraten oder etwas ähnliches zum Nachtmahl geben. Der Wirth entgegnete darauf, es wäre zwar Fleisch vorhanden, aber weil es Freitag sey, werde er keines zurichten lassen. Umsonst beriefen wir uns darauf, daß wir Reisende seyen, umsonst ermahnten wir, er solle die Aufklärung im Oetzthale nicht Lügen strafen – der Herbergsvater zu Sölden blieb bei seinem ersten Worte, und etliche gesottene Eier, die man uns vorsetzte, umschlossen denn auch in ihrer engen Schale alles was unsre weiten Bedürfnisse decken sollte. Wir waren damals fast ärgerlich über den Mann, jetzt aber, nachdem die Empfindlichkeit längst vergangen, scheint mir der Wirth einer Ehrenerwähnung werth, weil er festgehalten an seiner Ueberzeugung und nicht für schnödes Geld Hammelbraten und Gewissensruhe hingegeben.

Bis zur Kirche in Sölden kann man mit Karren nothdürftig fahren, aber von da an ist nur mehr Fußweg. Nachdem man noch einige Zeit durch Wiesen gegangen, ist die grüne Flur wieder zu Ende und es stellt sich ein rother mit Alpenblumen buntgefärbter Berghang entgegen, an dem ein steiler Pfad hinaufführt. Oben genießt der Wanderer einen schönen Blick ins kleine Thalgelände das er verlassen, und wenn er noch etwas vorgestiegen ist, auch einen andern in einen grausigen Schlund, wo der Weg unsicher und oft verfallen hoch über dem schäumenden Bache hinzieht, während hängende Felsen von allen Seiten hereinnicken. Da muß er nun hinunter, und wenn er so anderthalb Stunden zwischen den Wänden fortgewandelt, öffnet sich wieder ein enges Thälchen, sanft und grün, in dem die Hütten von Zwieselstein ersichtlich sind.

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_230.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)