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Da kömmt er oben aus einem Felsenthor im dünnen Fichtenwald hervor und stürzt wie fließendes Silber über den ersten Absatz der kahlen Bergseite, und weil er da an einer Klippe anprallt, so wirft er sich, in seinem Zorne scheinbar ums Doppelte mächtiger geworden, in ungeheuerm Schwunge weit über die untere Wand heraus und fällt welterschütternd in die Tiefe. Unten und oben geht rauchend der Schaum auf in dem sich wechselnde Regenbogen bilden, damals besonders reich und glanzvoll, weil die heiterste Sommersonne in den Gischt schien. Wem’s zu wild und tobend wird, der mag sich dabei Trost holen in der friedlichen Aussicht, die an derselben Stelle in das Thal hinaus und auf die Wiesen von Umhausen führt.

Der Bach aber, der in seinem fünfthalbhundert Fuß hohen Sturze die Wanderer herbeizieht, erquickt sie auch mit seinen Forellen, und im Wirthshause zu Umhausen, bei Herrn Marberger, hat seit vielen Jahren jeder einkehrende Fremde seinen Teller voll zu sich genommen. Dort ist auch ein reichhaltiges Fremdenbuch mit vielem wässerigen Schnickschnack, den die Cascade den Leuten eingeflößt hat.

Bis hieher halten schroffe Wände, stolze Berge und freundliches wohlbevölkertes Thalgelände noch verträglich zusammen; hinter Umhausen aber kommen wilde, ausschließlich wilde Partien und das Zahme sucht man da für etliche Zeit vergebens. Fast eine Stunde lang dräut eine schauerliche Schlucht, eine von den vielen, wo die Berge nach Regenwetter beweglich werden, dem Wanderer an den Kopf fliegen und den Pfad verschütten. Manche Stellen gibt es, wo das lockere Gerölle so steil am Wege steht, daß es Jahr aus Jahr ein auch an den trockensten Tagen herunterbricht, wie es denn überhaupt die Natur des Thales ist, daß es wegen des Reichthums an Wässern, der feuchten Atmosphäre und des zur Verwitterung geneigten Gesteines von Felsbrüchen, Bergfällen und Muhren sehr viel zu leiden hat. Unter solchen Betrachtungen gelangt der Oetzthalfahrer an eine Stelle, wo hoffentlich auch in dem Kühnsten ein bebendes Entsetzen lebendig wird. Steile mürbe Wände von beiden Seiten stellen ihre drohende Stirne einander gegenüber und dazwischen hat sich der Bach seinen Runst

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: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_224.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)