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und wenn er daheim gewesen, wäre gewiß Alles anders gegangen. Davon bin ich jetzt auch überzeugt, und später hat sich’s aufgeklärt, daß ich selbst von dem Frauenzimmer sicherlich andern Bescheid erhalten, wenn sie nicht Ein Umstand in Unruhe gesetzt und ihr Gemüth gewaltsam aufgeregt hätte. Damals nämlich hatte ich den Bart vier Wochen lang nicht mehr geschoren und so ein Aeußeres gewonnen, wie es im Montavon nicht gerne gesehen wird. Das Unheimliche und Verdächtige des Bartes allein hatte die Abweisung veranlaßt, was andern zur Lehre dienen mag, diesen unsocialen Zierrath im Gebirge möglichst kurz zu halten.

Von Talaas kommt man im Klosterthale fortgehend nach zwei Stunden ins Klösterle, ein Dörfchen, das diesen Namen angeblich einem geistlichen Hause zu verdanken hat, welches die Johanniter vor alten Zeiten hier gegründet, zunächst zum Besten der Knappen, die da Bergbau trieben, der jetzt ganz aufgegeben ist. Im vorigen Jahrhunderte war dieses Dörfchen manche Jahre lang das Ziel siecher Wallfahrer, die bei dem Pfarrer Johann Joseph Gassner Heil suchten. Dieser war zu Pratz zwischen Talaas und Bludenz geboren und in den Jahren 1758 bis 1774 Pfarrer im Klösterle, wo er die Wundercuren anstellte, die zu damaliger Zeit seinen Namen durch ganz Deutschland trugen. Es ist noch ein achtzigjähriger Greis im Dorfe, der ihm als Knabe ministrirte und sich erinnern will, wie in jenen Tagen oft stundenweit thalein und thalaus ein Wagen am andern stand, alle voll Fremden, die mit dem Mann der Wunder sprechen, sich von ihm heilen lassen, ihn predigen oder seine Messe hören wollten. Die Altäre in der Kirche wurden gestiftet durch die Opfer der Genesenen, der geistliche Arzt selbst nahm nie ein Entgelt. Er war sehr beliebt in seiner Pfarre, und als er endlich vom Regensburger Bischof gerufen, davon zog, boten sie, wiewohl vergeblich, Alles auf um ihn bei sich zu behalten. Er starb 1779 als Decan zu Bondorf in Niederbayern.

Zwei Stunden hinter Talaas liegt Stuben in einer wilden Schlucht am Fuße des Arlberges, der Landmarke zwischen Vorarlberg und Tirol. Die Berge sind unbewaldet, hoch, öde

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_122.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)