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An einem Sonntage des vorletzten Sommers ging ich allein von Bludenz fort um mir Montavon und Paznaun zu besehen, zwei selten besuchte Thäler. Es hatte den ganzen Vormittag geregnet und die Nebel lagen dick und grau auf den Bergen. Das melancholische Vesperläuten aus der Pfarrkirche hallte mir noch eine Weile nach als ich auf der schmutzigen Straße dahinschritt. Ernste Montavoner gingen Bludenz zu und grüßten leise. Die Luft war kühl und feucht, die Wiesen naß, die Bäume von Regentropfen schwer – im Ganzen ein trauriger Nachmittag. Auch das alte Nonnenkloster von Sanct Peter, das eine halbe Stunde vor der Stadt liegt und seine fensterreiche Vorderseite ansehnlich entgegenhält, stand in tiefem Schweigen da und scheinbar alles Lebens ledig – nicht eine einzige Dominicanerin am Fenster zur Aufheiterung der Ansicht.

Bei St. Peter geht der Seitenweg der Ill entlang und ins Montavon hinein, während die Heerstraße dem Alfenzbache folgt. Ehe aber jener Seitenweg in die Schlucht einführt, welche sich die Ill gerissen hat, stößt man auf etliche Wirthshäuser, die den Weiler Brunnenfeld bilden. Dahinter säuselt ein schöner Hain von Nußbäumen, unter dessen Schatten im Herbste fünf Märkte gehalten werden, wo eine zahllose Menge von Vieh zum Verkaufe kömmt.

Unter dem Nußbaumhain kam ein Wirthssohn von Brunnenfeld zu mir, und mit diesem ging ich also thaleinwärts, vorerst durch die Schlucht, die von fichtendunkeln Felsen eingeschlossen wird, so enge, daß kaum der Weg daneben Raum hat. Die Berge verschieben sich dergestalt, daß von den schönen, weiten und baumreichen Thalgründen die dahinter liegen keine Ahnung aufkommen kann. Die Gegend ist starr und einförmig, nur die brausende Ill verleiht ihr etwas Leben.

Nicht weit von dem Weiler Lorüns geht aus dem Gebirge hoch herab in sanfter gleichmäßiger Senkung eine grüne mit kurzem Gebüsch bewachsene Halde bis an die Ill, die in krummer Strömung um diesen Vorschub herzieht. Oben in den Bergen, wo der lange Abhang ansetzt, steigen kahle Schroffen in die Höhe, die in Vergleich mit ihren bewaldeten Nachbarn

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_116.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)