Seite:De Die blutige Rache einer jungen Frau.djvu/053

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Schatten war bei der bleichen Lampe ihr einziger Gefährte, und unter den Vorhängen war jetzt Keiner, mit dem sie das sanfte Geflüster der Liebe theilen konnte. Wenn sie den Herbstmond oder die Frühlingsblumen sah, so waren ihre Träume vernichtet, und ihr Geist fühlte sich beängstet.

Ein Jahr war bereits vergangen, und sie hatte noch nicht die geheimste Kunde von ihrem fernen Geliebten erhalten. Eines Tages kam Minghea in grösster Hast auf sie zugesprungen und rief: „Schwester! Schwester! Ich kann Euch sagen, Ihr könnt jetzt ganz gut einen Brief an Euren Gatten Chow absenden; wollt Ihr nicht?“ Lẅan fragte sie: „Woher weisst Du diese erwünschte Gelegenheit?“ Minghea antwortete: „So eben hat es mir Sinkew gesagt. Ein Mann ist nämlich mit einem öffentlichen Schreiben von der Militärstation zu Lingan angekommen. Nun ist doch Lingan, wie Ihr wisst, in dem Heenchow-District, und bei seiner Heimkehr kommt er durch Wookeang, und so ist dies die passendste Art, einen Brief dorthin zu senden.“[1] Keaou Lẅan sagte: „Da wir eine so gute Gelegenheit für einen Brief haben, so kannst Du es Sinkew sagen, dass er den Boten nicht gleich fortlässt.“

Darauf schrieb sie in grösster Geschwindigkeit einen Brief, worin sie die Qualen der Trennung schilderte und mahnte ihn, sobald als möglich nach Nankeang zurückzukehren, um ihrem


  1. Es giebt keine Posten in China, wenigstens nicht solche, wie die europäischen.
Empfohlene Zitierweise:
unbekannt, Adolf Böttger (Übersetzer): Die blutige Rache einer jungen Frau. Wilhelm Jurany, Leipzig 1847, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_blutige_Rache_einer_jungen_Frau.djvu/053&oldid=- (Version vom 31.7.2018)