Herr von Calonne, einen Teil der Staatsanleihen benutzte, um die Schulden des Grafen von Artois und des Herzogs von Bourbon zu bezahlen, wird jede Art abenteuerlicher Geldbeschaffung ohne weiteres geglaubt. Sogar ein ehrlicher Kerl, wie Lucien Gaillard, den ich allabendlich im Palais-Royal zu sehen pflege, war überzeugt von der Existenz des Diamantsaals und des silbernen Fußbodens im Schloß von Trianon!
Um seine Popularität könnte ihn übrigens jeder Minister beneiden. Mit jenem letzten Rest sklavischer Unterwürfigkeit des Bürgers vor dem Aristokraten pflegt sonst die öffentliche Meinung um so mehr zu verstummen, je höher der Rang desjenigen ist, dem sie sich gegenübersieht, um von den Mauern des Königsschlosses nur wie ein fernes Murren wiederzuhallen; Gaillard dagegen steht so ganz auf der Höhe seiner Zeit, und fühlt so gar nicht mehr die hergebrachten Standesunterschiede, daß ich, – laß mich Dir lächelnd diese Schwäche gestehen, – die Selbstverständlichkeit seiner Gleichstellung bei aller theoretischen Anerkennung, die ich für sie habe, oft peinlich empfinde Ich dachte daran, ihn einmal als unsern Haushofmeister nach Etupes zu nehmen, aber ich kann mich doch nicht recht an den Gedanken gewöhnen, meinem Angestellten kordial die Hand zu schütteln, seine Ansichten als den meinen gleichberechtigt gelten zu lassen.
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 385. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/391&oldid=- (Version vom 31.7.2018)