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Prinz Friedrich-Eugen Montbéliard an Delphine.
Paris, den 3. Mai 1786.


Endlich ein Lebenszeichen, Geliebte, das den Bann von uns nimmt, das mir nicht nur auf ein Wiedersehen die Aussicht eröffnet –, im Gedanken daran schwanke ich zwischen Qual und Seligkeit, denn mit zuviel Selbsterniedrigung muß ich es erkaufen, – das mir vor allem die Zunge löst, um die große Frage unserer Zukunft mit Dir zu besprechen. Monatelang habe ich geschwiegen; vielleicht hätte ich deinen Wunsch danach nicht zu erfüllen vermocht, wenn nicht ein holdes Wunder mir begegnet wäre.

Im Oktober vorigen Jahres war es. Die Sehnsucht zehrte an mir, ich vergaß Alles: Deine Wünsche, meine Versprechungen, und ritt vor Sonnenaufgang fort, entschlossen, Dich zu sehen, und wenn ich Mauern sprengen müßte. Je näher ich dem Ziele kam, desto mehr spornte ich den Rappen, so daß er, solcher Behandlung ungewohnt, wie gehetzt vorwärtsstürmte. Unten im Dorfwirtshaus ließ ich ihn stehen und ging den Berg hinauf zu Fuß; das verschlossene Parktor gab meinem Rütteln nach; weiß leuchtete schon das Schlößchen durch das Laub. „Mont de joie“ flüsterte ich, seliger Erwartung voll, vor mich hin, – da stockte mein Fuß.

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Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/387&oldid=- (Version vom 31.7.2018)