Die Schrift Mirabeaus über die Haftbriefe und die Staatsgefängnisse war trotz ihres Verbots in aller Händen. Sie ist eine glänzende Leistung voll Mut und Feuer, die die persönlichen Verfehlungen des Verfassers ganz vergessen läßt. Es gibt Zeiten, in denen Tatkraft und Kühnheit von so überwiegender Bedeutung sind, daß sie alle anderen Tugenden aufwiegen.
In den Cafés bilden noch immer die Ereignisse des letzten Opernballes den Gesprächsstoff, und auf der Straße den Gegenstand derber Chansons. Die Königin, die vollkommen maskiert und bis zur Unkenntlichkeit vermummt gewesen sein soll, wurde sofort – wahrscheinlich durch den Verrat eines Lakaien – erkannt und mit Spaßen verfolgt, über die sie sich zunächst amüsierte, was natürlich ihre Dreistigkeit nur steigern half. Erst als eine Maske in Kardinalstracht sich ihr näherte und trotz aller Bemühungen nicht von ihr wich, brach sie schließlich in Tränen aus und entfernte sich rasch. Niemand hörte, was die Maske sprach; nur Guibert behauptet gesehen zu haben, daß
sie ihr einen gefüllten Geldbeutel anbot. Erst widrige Szenen wie diese müssen die Monarchen davon in Kenntnis setzen, daß die auf ihren Empfang durch Hofansagen und Polizeimaßnahmen nicht vorbereitete Menge eher zu Pöbeleien als zu spontanen Huldigungen bereit ist.
Meine Feder stockt. Wie unwesentlich kommt
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 337. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/343&oldid=- (Version vom 31.7.2018)