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kann nicht sein. Es wäre der Tod des alten Mannes, dessen Namen ich trage,“ sagten Sie. „Ich habe ihm viel zuleide getan und er hat schließlich Alles ertragen. Er ist mir in der schwersten Zeit Freund und Pfleger gewesen, ohne mich daran zu erinnern, daß er auch Gatte ist. Und als er mich erinnerte, hat er gegenüber meiner Abwehr seine Rechte nicht geltend gemacht, wie er durfte. Jetzt ist er krank und vergrämt, – ich würde mich ihm gern in Freundschaft nähern, wenn ich nicht fürchtete, daß er es anders auffassen könnte –; nur eins kann ich für ihn tun: den Skandal, den er über alles fürchtet, von ihm fern halten.“

Und dann, als Sie fühlten, wie Ihr „Nein“ mich traf, sangen Sie mir unter Küssen and Tränen das Hohelied der Liebe, wie ein sterbliches Ohr es noch nie vernommen haben kann.

„Ich habe nie aufgehört, mich der Ehe zu schämen,“ begannen Sie, „das verbriefte Recht auf Liebe ist der Liebe Tod. Liebe muß zwischen zwei Menschen das größte Geheimnis sein, wie sie das tiefste aller Mysterien ist. Auf den schwindelnden Höhen hoher Berge, die nur die Stärksten erreichen, in der Stille grüner Wälder, zu denen nur Weltflüchtige die Wege finden, sollen ihre Tempel stehen. Und auch dort dürften nur wenige im verborgensten Heiligtum die letzte Weihe empfangen.“

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Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/328&oldid=- (Version vom 31.7.2018)