und meine Bürgerpflicht gebietet mir, sie preiszugeben. Die absolute Monarchie, an der dies arme Land langsam verblutet, würde einen Stoß empfangen, von dem sie sich nie mehr aufzurichten vermöchte!
Wenn ich trotzdem schweige, – nur schweige, denn ich wäre außerstande, das Gegenteil von dem zu bezeugen, was ich sah, – so unterwerfe ich mich damit dem einen, ungeheuren Gefühl, das wie ein Unwetter alle Dämme niederreißt, die der Verstand mühsam baute, alle Leuchttürme umwirft, die die Pflicht aufrichtete, um irrenden Schiffen Wege zu weisen: die Liebe, Delphine, zu Ihnen!
Sie haben die Königin gerettet, – durch eine Lüge! Und mich, geliebteste Frau, bitten Sie um Verzeihung deshalb?! O, daß ich die weichen Lippen um dieser Lüge willen, die sie aussprachen, küssen dürfte! Für das Weib ist rührende Tugend, was für den Mann eine schimpfliche Erniedrigung wäre.
Wäre ich der Beichtvater, zu dem Sie mich machen wollen, ich würde Sie freilich zu einer Buße verpflichten. Jetzt komme ich nur mit einer Bitte um unsrer Liebe willen – unserer, meine Delphine!
Sie ist so rein, – aber der giftige Atem dieser Gesellschaft droht, sie zu beschmutzen. Sie ist so tief –, aber die spürende Lüsternheit rings um uns wird kein Mittel scheuen, sie bis auf den Grund
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/326&oldid=- (Version vom 31.7.2018)