nicht als Mann von Ehre um Sie ringen können. Der alte kranke Marquis ist kein Rivale mehr.
Und doch: Wenn Ihr Herz einmal freiwillig entschiede!! Schönste Delphine, ich fange an, zu begreifen, daß Sie nicht nur ein goldenes Blatt in der Siegeskrone, sondern der Rosenkranz selber sind, mit dem das Leben seine Lieblinge krönt.
Darf ich nun zum Lohn für meine Entsagung, die ich mir nicht zum zweiten Male aufzulegen imstande wäre, nachdem die Kraft, sie zu tragen, schon jetzt nicht ausreicht, den Faden unseres letzten Gesprächs weiterspinnen? Darf ich hoffen, daß Sie ihn aufgreifen und er allmählich zu einem starken Bande zwischen uns wird?
Mit jener genialen weiblichen Güte, die uns sogar sachliches Interesse vorzutäuschen vermag, haben Sie an dem Schicksal meiner kriegswissenschaftlichen Arbeit Anteil genommen. Sie hat inzwischen die öffentliche Aufmerksamkeit in höherem Maße erregt, als ich es erwarten durfte. Seit dem großen Erfolg von Glucks lphigenia schienen unsere großen Geister, – ich wäre fast geneigt, das „groß“ in Anführungsstrichen zu schreiben –, wieder im musikalischen Krieg ihre Kräfte zu erschöpfen; eine Erscheinung, die nur in einem Lande möglich sein kann, wo man den Bürger als ein unmündiges Kind behandelt und seine tätige Teilnahme am politischen Leben mit der Bastille belohnt.
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/262&oldid=- (Version vom 31.7.2018)