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Graf Guibert an Delphine.
Paris, am 25. August 1779.


Die Begegnung mit Ihnen, teuerste Marquise, hat mich wie ein erschütternder Traum, der uns auch am Tage nicht los läßt, von Spa hierher verfolgt.

Keiner der Eindrücke der Reise, – und sie waren stark genug –, vermochte das rührende Bild der zarten, von schwarzen Schleiern verhüllten Gestalt zu verwischen, aus deren marmorweißem Antlitz der Blick dunkelglühender Augen mich bis ins Innerste traf. Sie waren gekommen, um in dem berühmten Bade Heilung zu suchen.

„Der Marquis hat es gewünscht,“ sagten Sie mit einem bitter-schmerzlichen Lächeln. Der Marquis?! wiederholte ich im Stillen erstaunt; wußte ich doch, was alle wußten. Sollte die Tragödie Ihres Kindes mit ihrem rätselhaft schauerlichen Schluß zwei Getrennte wieder zusammengeführt haben? – aber noch ehe ich zu Ende gedacht hatte, bekam ich die Antwort: der Marquis trat herzu, – ein alter Mann mit gebeugtem Rücken und eingefallenen Zügen, – ich hätte ihn fast nicht erkannt! Einen Augenblick lang erinnerte ich mich erschrocken der dunklen Gerüchte, die mir von den großen mißglückten Spekulationen des Herrn von Saint-James, an denen der Marquis ebenso wie der Kardinal Rohan stark beteiligt sein

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Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/259&oldid=- (Version vom 31.7.2018)