Buch. Ich fand ein verschüttetes Gefühl, eine schlafende Hoffnung; die Glut meiner Sinne malte mir ein leuchtendes Bild eigenen Glückes, so daß ich nicht sehen wollte, was ich sah. Jetzt, da ich weiß, daß ich die Frau, die ich mit der ganzen Kraft meines Herzens liebe, nie mein eigen nennen kann, will ich sie wenigstens vor ihrem größten Feinde, sich selber, retten.
Sie lieben. Ihr Stolz verbietet Ihnen nur, es sich einzugestehen. Sie hoffen. Ihr krankes Gewissen hindert Sie nur, diese Hoffnung zu Ihrer Lebenskraft werden zu lassen. Haben Sie den Mut zu sich selbst. Erhalten Sie sich dem Manne, der in die Fremde ging, weil er sich von Ihnen verlassen glaubte.
Jedes Wort, das ich schreibe, stößt mir den Stahl tiefer ins Herz. Einerlei. Meine erste Aufgabe im Leben ist Ihr Glück.
Wie soll ich Ihnen danken für die Wohltat Ihrer Zeilen, teuerste Delphine, die am deutlichsten durch das sprechen, was sie verschweigen. Sie nennen mich Ihren einzigen Freund, denn nur Freundschaft, sagen Sie, vermag selbstlos zu sein. Sie wollen mir dadurch beweisen, daß ich mich über meine eigenen Gefühle täusche – ! Ich soll Ihnen weiter ein Freund sein, soll Ihnen sagen, wie es mir geht.
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/240&oldid=- (Version vom 31.7.2018)