Nicht wahr, nun blättern Sie geärgert die nächsten Seiten meines Briefes um: „Habe ich ihm erlaubt, mir mehr zu schreiben?!“ sagen Sie. Und doch müssen Sie mir zuhören, denn durch mich kommt in diesem Augenblick nicht nur Paris, sondern die Welt zu Ihnen, nachdem Jean-Jacques Sie dem Einen entzog, der Anderen entfremdete.
Voltaire ist in Paris! Das Pariser Parlament verbrannte seine Bücher, die französische Regierung trieb ihn aus seinem Vaterlande, aber seine Ideen stiegen, die Welt erleuchtend, aus dem Scheiterhaufen bloßen Papiers, und jedes Jahr seiner Verbannung bahnte ihm mit Feuer und Schwert den Weg nach Frankreich.
Das Erscheinen eines Propheten und Apostels hätte in Paris keine größere Begeisterung entfachen können, als das seine. Alle anderen Interessen traten zurück: die Kriegsgerüchte, die Hofintriguen, selbst der große Kampf zwischen den Piccinisten und den Gluckisten. Das Parlament verstummte, die Sorbonne zitterte, die Enzyklopädisten, die sich sonst als Riesen gebärdeten, erschienen wie Zwerge. Und der König, eben gewillt, sich daran zu erinnern, daß der Ausweisungsbefehl gegen Voltaire noch nicht aufgehoben ist, fühlte plötzlich, daß es größere Mächte gibt, als die der Majestät von Frankreich.
Nach Voltaires Ankunft drängte sich ganz Paris
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/224&oldid=- (Version vom 31.7.2018)