wahren Feldzug von Kämpfen und Intriguen,“ sich erst erobern mußten; und mit einer Ehrlichkeit, die zu der Sentimentalität der meisten Frauen, die sich heute ihrer Mutterschaft erinnern, in erfreulichem Gegensatz steht, fügen Sie hinzu: „mich trieb nicht die Liebe, sondern nur das Gefühl einer heiligen Pflicht, deren Erfüllung meinem Leben Inhalt und Ziel geben sollte.“
Ich habe den Satz zehnmal gelesen, ehe ich mir vorzustellen vermochte, daß von den Rosenlippen der Marquise Delphine so schwere Worte fallen konnten, und erst als ich weiter las, sah ich Sie wieder lebendig vor mir: „aber die Aufgabe erhebt mich nicht, sie drückt mich nieder,“ schreiben Sie. Ein Tempel der Mutterliebe sollte das Schlößchen sein, das sich im Park von Froberg am Ufer des Sees weiß und leuchtend erhebt. „A L’Enfant“ ließen Sie in goldnen Lettern über die Türe meißeln, wo kurz vorher „Mont de ma joie“ gestanden hatte. Die schönsten Blumen ließen Sie pflanzen, mit Tieren aller Art bevölkerten Sie den Park – „die Natur selbst sollte meines Sohnes Erzieherin sein.“ Und dann kam das Kind; „es zerpflückte und zertrat die Blumen, es schlug nach dem sanften Reh und dem kleinen Kätzchen, es warf mit Steinen nach den Tauben,“ und seine Häßlichkeit zwang Sie, alle Spiegel aus den Zimmern entfernen zu lassen, um sie nicht verzehnfacht um sich zu sehen.
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/202&oldid=- (Version vom 31.7.2018)