Hätte ich Sie bisher nicht geliebt, ich müßte Sie um des Abschieds willen lieben, den Sie mir geben.
Meine Zunge und meine Feder sind um Worte nie verlegen gewesen, heute versagen sie den Dienst. Ich kann nur ein Echo Ihrer Stimme sein, und antworte Ihnen darum mit Ihren eigenen Worten:
„Noch sah ich überall: auch das süßeste Liebesglück hinterläßt schließlich nichts als Wunden. Ich aber möchte mich seiner erinnern können, wie man im Winter an einen sonnigen Sommertag denkt. Ich möchte nicht, daß Eitelkeit, Mitleid, Respekt vor der Tugend der Treue die Existenz eines Gefühls vorzutäuschen versuchen, das schon entschwand. Wir wollen darum den Schmetterling, statt ihn zu spießen, in der blauen Luft davonflattern lassen.“
Folgen Sie ihm nicht mit den Blicken, holde Delphine; mir gingen im Nachschauen die Augen über, denn der helle Himmel blendet so sehr. Ich möchte Ihnen auch diesen Schmerz ersparen.
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/198&oldid=- (Version vom 31.7.2018)