Und als Sie, an mich geschmiegt, strahlend von Schönheit, leuchtend von Übermut, vor dem entzückten Hof erschienen, und ein leiser Druck Ihres Arms mir die Erlaubnis gab, neben Ihnen bleiben zu dürfen, fühlte ich mich dem schwindelnden Glück Ihres Besitzes nahe.
Ihr kühler Abschied im Morgengrauen stürzte mich wieder in ein Meer von Zweifeln. Retten Sie einen Schiffbrüchigen, und wenn Ihnen das nicht der Mühe wert erscheint, die Hand auszustrecken, so retten Sie Ihre eigene blühende Jugend! Erinnern Sie Sich, süße Delphine, daß Ihre Schönheit zwar göttlich, Sie aber trotzdem nicht unsterblich sind! Soll der Frühling ihrer Jugend welken, noch ehe die Sonne der Liebe den Sommer entfaltete?
Sie leiden; ich weiß es; denn ich kenne alle Qualen wie alle Wonnen des Herzens. Die Sehnsucht glänzt aus Ihren Augen, glüht aus Ihren Fingerspitzen.
Wenn ich die Rosen, die ich Ihnen sende, heute abend an Ihrem Busen wiedersehe, soll mir das ein Zeichen süßester Hoffnung sein. Mag dann immerhin Guiberts Trauerspiel, dem der ganze Hof mit Spannung entgegensieht, so langweilig sein, wie seine Kriegskunst, ich werde es unterhaltend finden; Sie werden also, reizende Daphnis, nicht nur für Ihres Schäfers Glück, sondern auch für des Dichters Ruhm verantwortlich sein.
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/158&oldid=- (Version vom 31.7.2018)