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Hundes, obwohl er stets neue Rivalen hat. Sie ist aus der Hefe des Volks emporgestiegen, wie alle ihresgleichen, und würde am Hofe von Versailles keiner Prinzessin von Geblüt nachstehen, denn sie besitzt in höchstem Maße jene Anpassungsfähigkeit der Frauen, die in wenigen Jahren aus einem kleinen Vorstadtmädchen eine Dame macht, während ein Bauer immer ein Bauer bleibt, auch wenn er Jahrzehnte lang Titel, Degen und seidene Strümpfe trägt.

Wenn sie tanzt, so könnte man ihr Antlitz verhüllen und würde doch jedes ihrer Gefühle verstehen. Man sieht, wie Himmel und Hölle um ihre Seele streiten. Ihre Luxusbedürfnisse sind ohne Grenzen, und doch kann man ihr in den Elendsquartieren der Butte St. Roche begegnen, wo sie, dicht in den Kapüchon gehüllt, Geld, Kleider, Lebensmittel unter die Armen verteilt. Kaltblütig hat sie schon Dutzende von Männern zu Bettlern gemacht, daneben rettet sie im Stillen junge Offiziere und arme Kollegen vor dem Elend. Die Orgien in ihrem Hotel bilden den Skandal der Nachbarschaft; dabei ist sie imstande, am nächsten Tage mit vollendeter Decenz Damen des Hofs, Männer der Kunst und der Wissenschaft zu empfangen, für die einen ein Beispiel in der Toilette wie im Haushalt, für die anderen eine sprudelnde Quelle der Anregung.

Und nun die Raucourt. Ihre Schönheit ist eine

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Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/098&oldid=- (Version vom 31.7.2018)