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Darf ich erwarten, daß Sie mich mit einer Zeile von Ihrer schönen Hand beglücken werden, damit der Faden zwischen uns, der heute noch so spinnwebfeine, nicht ganz zerreißt? Als ein Bittender küsse ich diese Hand und hoffe, sie bald als ein Dankbarer küssen zu dürfen.



Graf Guy Chevreuse an Delphine.
Paris, am 21. Februar 1714.


Endlich, schönste Marquise, ein Brief von Ihnen! Ich hatte schon aufgehört, darauf zu hoffen; ich kämpfte mit mir, ob ich Sie noch einmal an mich erinnern dürfe, ich fürchtete, als ein Zudringlicher von Ihnen abgewiesen zu werden. Nun ist es zwar nicht gerade schmeichelhaft, daß Sie mir „nur aus Langerweile“ schreiben und ich weiß nicht, ob es mir gelingen wird, diese Langeweile zu verscheuchen, um so mehr, als sie jetzt in Paris ein allgemeines Leiden ist.

Die Krankheit des Königs liegt wie ein Alp auf dem Hof von Versailles. Priester, wie der Abbé Beauvais, Nonnen wie Madame Louise gewinnen wechselnden Einfluß; allerlei dunkle Gestalten werden durch Hinterpforten eingelassen, denn Seine Majestät ist abergläubisch geworden und läßt sich weissagen. Nur auf Stunden, höchstens Tage, vermag die schöne Bacchantin Dubarry ihn seiner Melancholie zu entreissen. Alles um ihn zittert –, teils aus Angst, teils aus Hoffnung

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Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/068&oldid=- (Version vom 31.7.2018)