recht hat, der die dichtende Gräfin mit folgenden Strophen besang:
Chloë, belle et poëte, a deux petit travers:
Elle fait son visage, et ne fait pas ses vers,
so dürfte sie ihre Verehrer aufs Glatteis führen. In unserm Roman tut sie es nicht. Der Chevalier de Versenay, ihr Liebhaber, ist mehr zu beneiden, als sein lebendes Vorbild, der Herr von Pezay. Auch er dichtet, er schreibt sogar seine Liebesbriefe gleich mit Rücksicht auf ihre Druckreife. Obwohl seine Mutter noch der meinen die Hemden wusch, nennt er sich Marquis, denn er kennt seinen Vorteil: der schlechteste Possenreißer ist seines Erfolges sicher, wenn er sich mindestens Baron tituliert. Hoffen wir für die Gräfin, daß ihr Anbeter seiner Herkunft wenigstens die Tadellosigkeit seiner Wäsche verdankt.
Ich sehe Sie erröten und unmutig das Köpfchen schütteln, wie damals als ich Sie auf dem Ball der Herzogin von der Last kindlichen Respekts befreite, die Sie vor jeder glänzenden Erscheinung förmlich zu Boden zwang. Damals, holdselige Delphine, blitzten in Ihren Augen, noch während Ihre Wangen glühten, schon die neckischen Geister des Spottes auf und Ihr kleiner Mund zuckte vor verhaltener Neugierde. Ich sehe mich als den eigentlichen Vollender der mehr als unzureichenden Klostererziehung an, wenn ich dafür sorge, daß Sie nicht unwissend wie ein gefangenes Vögelchen in Freiheit gesetzt werden.
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/034&oldid=- (Version vom 31.7.2018)