unbekannt: Die Frau | |
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Die Verstellungskunst, diese scharfe Frauenwaffe, die sie, ohne falsch zu sein, führen müssen, ist den Männern nicht eigen, mögen wir es ihnen zur Ehre gereichen lassen; eben darin liegt auch das große Geheimniß der so falsch verstundenen Pantoffelherrschaft, sowie die ganze Macht und der ausgebreitete Einfluß einer Frau nur in der Vielseitigkeit liegt, die ihre Berufserfüllung erheischt und schon darum von der Natur in ihr Seelen- und Gedankenleben angewiesen wurde. Das dürfte auch die Ursache sein, daß man bei ihr mehr Ausdauer und Beständigkeit als bei dem Manne antrifft, dem die Abwechslung, die er in äußeren Eindrücken sucht und findet, zur Beständigkeit nothwendig ist, da sie in der Einseitigkeit seines momentanen Gefühles fehlt.
Denn schichtenweise in Zeit und Raum, trägt er immer nur einem Gefühl auf einmal Rechnung, und meint, hingerissen von Form und Schein, jede neue Phase der Empfindung, in die er getreten, müsse die der frühern schmälern, weil sein Egoismus den Mittelpunkt seiner Liebe in sich selber errichtet, und nicht in der fremden Glückseligkeit.
Egoismus lähmt der schönsten Männerliebe die Flügel zum Emporschwingen.
unbekannt: Die Frau. Carl Winiker, Brünn 1859, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Frau_anonym_1859.djvu/12&oldid=- (Version vom 21.11.2023)