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meinen Geißerchen fressen und kannst es dir aussuchen.« Das schmeichelte dem Wolf nicht wenig, denn er hörte sich gar zu gern loben. Er setzte sich auf seine Hinterbeine, fegte mit den Vorderpfoten in der Luft herum als schlüge er den Takt und hub an zu heulen, daß alle Bauern im Dorfe zusammenliefen und ihm das Fell so zergerbten, daß ihm die Lust nach Geißenfleisch ganz und gar verging.

Da schlich er betrübt und hungrig in den Wald, legte sich unter einen Eichbaum und rief: „Ach was bin ich doch für ein dummer Kerl! Ach Gott, wirf dein scharfes Schwert von deinem elfenbeinernen Thurm und strafe mich um meiner Dummheit willen, daß ich meinem linken Ohr so viel getraut habe!“ Nun saß auf der Eiche ein Bauer, der mit seinem Beil im Walde gearbeitet hatte und als er den Wolf kommen sah auf den Baum geklettert war. Als der den Wolf also rufen hörte, faßte er das Beil und warf es ihm grade zwischen die Ohren. „Uh,“ schrie der Wolf, „die Stätte ist gar zu heilig, da wird jede Bitte allzubald erhört“ und er schleppte sich schachmatt und halbtodt zu seiner Höhle. Da fand er kein Bröcklein mehr von seinem Vorrath und er sprach trostlos zu sich selbst: „Mein Vater war kein Landmesser, drum kann ich auch keiner sein; mein Vater war kein Feldscheerer, drum kann ich auch keiner sein; mein Vater war kein Sänger, drum kann ich auch keiner sein und kann mir mein Brod nicht verdienen.“ Und darüber quälte er sich so, daß er sich hinlegte und starb.

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Johann Wilhelm Wolf: Deutsche Hausmärchen. Göttingen und Leipzig 1851, Seite 421. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Deutsche_Hausm%C3%A4rchen_421.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)