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zufrieden und mischte Abends dem Prinzen wieder einen Schlaftrunk unter seinen Wein, der war so stark, daß ihn zehn Kanonenschüsse, die zugleich losgingen, nicht hätten aufwecken können. Als die verlassene Jungfrau wieder zu ihm in die Kammer kam, da klagte sie wiederum die ganze Nacht: „Hast du denn ganz vergessen, wie ich dich aus dem Eiskeller erlöst habe und wie du mich als Rose an deinem Herzen getragen hast und wie du als Steinklipper mit dem schweren Hammer auf mein Herz geschlagen hast und wie ich in der Mühle auf dich warte. Ach und du weißt nicht, daß ich um dich mit meinen armen Fingern den groben Hanf spinne, daß das Blut herunterlauft. Ach wie groß ist doch die Falschheit in dieser Welt!“ Also jammerte sie fort, bis die Sonne in die Kammer schaute, da mußte sie weg und der Prinz hatte kein Wort gehört. Die beiden Schildwachen hatten aber jedes Wort verstanden und ihr Mitleid mit dem armen Mädchen war so groß und ihr Zorn auf den Prinzen so arg, daß sie zu seinem Bette traten, ihm die kalten Spitzen ihrer Bajonette auf die Brust setzten und sprachen: „Du mußt jetzt sterben, bereite dich zum Tode vor!“ Der Prinz fragte erschrocken, warum sie ihn denn ermorden wollten, da er ihnen doch nichts gethan habe? Sie sprachen: „Weil du ein so hartes Herz hast, daß du das arme Mädchen verrathen und betrogen hast, die Alles für dich hingegeben hat, und sie so jammern und klagen hören kannst, ohne dich über sie zu erbarmen.“ Der Prinz sprach: „Ich weiß von keinem Mädchen, habe keines betrogen und keines jammern hören.“ Da sagten ihm die Schildwachen Alles, was die Jungfrau geklagt

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Johann Wilhelm Wolf: Deutsche Hausmärchen. Göttingen und Leipzig 1851, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Deutsche_Hausm%C3%A4rchen_297.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)