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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.

Geschichte nicht coram publico besprochen würde, so machte sie durch die Erzählung ihren Schritt illusorisch. Daß Dr. Dietz das Geheimnis nicht in seinem Busen begraben würde, mußte ihr bei einigem Nachsinnen klar werden.

Was sie nun erzählte, hat Dr. Dietz später im Herzog-Prozeß unter Eid bekundet. Es war im wesentlichen folgendes:

„Ich war im Februar 1901 mit meiner Mutter und meiner Schwester Olga zur Erholung nach Korsika gereist. In Ajaccio im Hotel de Suisse lernten wir einen jungen Studenten kennen, mit dem wir mehrere Wochen lang freundschaftlich verkehrten. Dem jungen Mann gefiel meine Schwester sehr gut, und er gefiel ihr auch. Es hat sich dabei nur um einen harmlosen Flirt gehandelt. Nach einiger Zeit reiste ich in Begleitung eines befreundeten älteren Ehepaares von Ajaccio ab, um mich über Bastia, Livorno, Florenz nach Genua zu begeben, wo ich mich einer Tante anschließen wollte, die zu längerem Aufenthalt nach Süditalien zu gehen beabsichtigte. Der Student reiste mit. Schon unterwegs in Corte bemerkte ich, daß zwischen mir und dem fünf Jahre Jüngeren, den ich bis dahin, eben wegen dieses Altersunterschiedes, nicht sonderlich beachtet hatte, eine starke Sympathie erwachte, und diese Sympathie steigerte sich im weiteren Verlauf der Reise immer mehr, bis sie zuletzt in Florenz zu einer heftigen Leidenschaft angewachsen war. Von Florenz nach Genua reisten wir beide allein. Es kam zu einem Geständnis. Aber die Sache war aussichtslos, an eine Heirat nicht zu denken. So verlebten wir denn in Genua unter den Augen der ahnungslosen Tante einige freudevolle Tage, und dann schlug die Stunde der Trennung. Wir kamen überein, uns nicht wiederzusehen, auch nicht miteinander korrespondieren zu wollen. Ich fuhr mit der Tante zu Schiff nach Neapel, er fuhr zur Nachkur nach Montreux, wo sich inzwischen auch meine Mutter und meine Schwester eingefunden hatten. Der in Ajaccio begonnene freundschaftliche Verkehr wurde in Montreux fortgesetzt, und ich habe Grund, anzunehmen, daß dabei

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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/87&oldid=- (Version vom 31.7.2018)