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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.

auf der Bank im Hof – Sonnenschein und Vogelgezwitscher um uns herum, im Hintergrund die dunkelgrünen Berge –, der Brave genoß noch einmal in der Mitteilung alle Freuden seines sauerverdienten Osterausfluges und ahnte nicht, wie schmerzvoll für mich das Zuhören war. Seinem naiven Gemüt stand es außer Frage, daß ich freigesprochen würde. Hundertmal versicherte er mir: „Herr Rechtsanwalt, Sie werden sehen, in einigen Monaten sind Sie frei. Man kann Sie doch nicht verurteilen. Es ist doch nur ein Indizienbeweis.“ Aber außer der im Volke vielfach verbreiteten Überzeugung, daß auf einen Indizienbeweis hin keine Verurteilung zum Tode erfolgen könne, lag dem noch ein anderer Gedanke zugrunde, den er sich hütete offen auszusprechen, nämlich der Gedanke: eine Krähe hackt der anderen die Augen nicht aus.

Der Geheimrat fragte mich bei seinem letzten Besuch, ob ich glaubte, an dem 6. November ein geistig ganz gesunder Mensch gewesen zu sein. Ich sann eine Weile nach und gab zur Antwort, ich könne das weder bejahen, noch verneinen.

„Das heißt: Sie wissen es nicht?“

„Ich kann die Frage weder bejahen, noch verneinen. Bitte begnügen Sie sich mit diesem Bescheid.“

An einem schönen Apriltag fuhr ich mit meiner Eskorte, es waren diesmal sogar drei, die Zähringerstraße entlang, an meiner alten Studentenbude vorüber, nach dem Bahnhof. Der Zug war überfüllt. In unserem Abteil saß am Fenster ein schlankes Mädel, blutjung, deren Plappermäulchen nicht eine Minute stillstand. Unausgesetzt hielt sie mit ihren Fragen meine Begleiter in Atem, deren harte Polizeiseelen weich wurden unter den warmen Strahlen ihrer Augen und die sich trotz aller amtlichen Zurückhaltung dem Zauber ihres fröhlichen Wesens nicht entziehen konnten. Nur ich blieb schweigsam und in mich gekehrt. Aber des öfteren bemerkte ich, wie sie mich forschend ansah mit einem Blick, in dem zu lesen war: Was ist das denn nur für ein steifleinener Bursche, der

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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/83&oldid=- (Version vom 31.7.2018)