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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.

So fuhr ich denn an einem sonnigen Vorfrühlingstag wieder einmal durch die wohlbekannten Straßen der Stadt Freiburg. War es wirklich erst sechs Jahre her, daß ich als fröhlicher Student hier gehaust hatte?

Draußen, gegen Herdern zu, lag die Klinik, ein weitläufiges Gebäude mit vielen Höfen und Gärten. Ein Assistenzarzt nahm mich in Empfang und übergab mich nach kurzem Examen dem Oberwärter, der mich durch Säle und Hallen bis an das äußerste Ende eines der Seitenflügel geleitete, wo er eine mit Glasfenstern versehene Tür öffnete und mich freundlichst einlud, das für mich bestimmte Gemach zu betreten. Es war ein einfach eingerichtetes kleines, aber sehr hohes Zimmer mit einem fast bis zur Decke reichenden Fenster, das aus zahlreichen dicken und in eisernen Rahmen gefaßten Scheiben bestand und nur im oberen Teil geöffnet werden konnte durch eine von außen in Betrieb gesetzte Vorrichtung. Auf diese Weise war Fluchtversuchen ein Riegel vorgeschoben, ohne daß der Raum durch ein Gitter das Aussehen einer Gefängniszelle bekam. Der Oberwärter, der mich mit ungeheurer Höflichkeit behandelte, sprach die Hoffnung aus, daß ich mich hier wohl fühlen möchte; er sei angewiesen, alle meine Wünsche im Rahmen des Möglichen zu erfüllen, und habe zu meiner Bedienung einen Wärter ausgesucht, mit dem ich sicher zufrieden sein würde, den besten, den er habe. Sollte ich aber über irgend etwas zu klagen haben, so bitte er mich dringend, ihm zunächst davon Mitteilung zu machen und nicht gleich den Herrn Geheimen Hofrat anzugehen. Die Art, wie er den „Herrn Geheimen Hofrat“ in den Mund nahm, war sehr vielsagend.

Er brachte den Wärter herbei und stellte ihn mir vor. „So, das wäre also der Michel.“ Michel hatte sich die ungeheure Höflichkeit seines Vorgesetzten zum Muster genommen und gab sich alle Mühe, denselben noch zu übertreffen. Das war ein fortwährendes: Jawohl, Herr Rechtsanwalt. – Bitte sehr, Herr Rechtsanwalt. – Wie Sie wünschen, Herr Rechtsanwalt; für den Umgang mit Geisteskranken

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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/77&oldid=- (Version vom 31.7.2018)