Seite:De Das Todesurteil (Hau).djvu/70

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.

es möglich war, nach dem Telephongespräch noch rechtzeitig den Tatort zu erreichen.

Es folgte eine längere Sitzung im Amtsgericht. Der Untersuchungsrichter stellte mich den Personen gegenüber, die an dem Nachmittag des 6. November die fragwürdige Gestalt mit dem falschen Bart in der Umgebung der Villa Molitor gesehen hatten. Ich saß in einem Nebenzimmer mit Barbarossa-Sherlock Holmes zusammen, von Zeit zu Zeit öffnete sich die Tür, hereinkam der Zeuge oder die Zeugin, beguckte mich mit einem Gesicht, in dem die verschiedensten Gefühlsmischungen sichtbar waren, und verschwand wieder. Einer der Zeugen, der Postbeamte, der mir das Telephongespräch vermittelt hatte, schritt tapfer ganz nahe an mich heran, musterte mich unbefangen und furchtlos und fragte: „Nicht wahr, Sie sind es doch gewesen, der an dem Abend telephoniert hat?“ Worauf ich erwiderte: „Natürlich bin ich’s gewesen.“

Als er gegangen war, bemerkte der Herr Wachtmeister: „Na, sehn Se, es is doch viel gescheiter, man sagt frei heraus, wie’s gewesen is. Mache Se nur so fort, am End lege Se doch noch ein Geständnis ab. ’s hat ja gar keinen Zweck, zu leugnen. Mer habbe ja Zeugen im Überfluß, un von alle Sorte.“

Der wichtigste unter den Zeugen war der Kutscher Braun. Er hatte an dem Abend des 6. November auf der Lichtentaler Allee einen Fahrgast aufgenommen und zum Bahnhof gefahren. Dort habe ihm der Herr, ohne nach dem Preis zu fragen, zwei Mark gegeben. Als er mir gegenübergestellt wurde, erklärte er, mit absoluter Sicherheit könne er zwar nicht sagen, daß ich der Herr gewesen sei; aber er glaube doch, mich wiederzuerkennen. In der Anklageschrift war es demnach eine ausgemachte Sache, daß ich die Droschke des Kutschers Braun benutzt hatte, und der Staatsanwalt verfehlte nicht, besonderen Nachdruck auf die zwei Mark zu legen. Wer konnte es anders gewesen sein als der Angeklagte?

Empfohlene Zitierweise:
Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/70&oldid=- (Version vom 31.7.2018)