Seite:De Das Todesurteil (Hau).djvu/67

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.

in ein Seitental ein, dann durch einen Wald bergan, bis wir auf die Höhe kamen, von der die Kaiser-Wilhelm-Straße hinunter nach der Lichtentaler Allee führt. An den berühmten Lindenstaffeln hielten wir. Der Untersuchungsrichter trat an den Schlag, forderte mich auf, auszusteigen. Die Straße war beiderseits gesperrt, hinter der Sperre eine große Menschenmenge.

Bleich vor innerer Erregung standen wir einander gegenüber. Er hob die Hand. „Angeklagter, es ist meine Pflicht, Sie hier an der Stelle, wo die blutige Tat geschehen ist, mit aller Eindringlichkeit zu ermahnen, legen Sie ein reumütiges Geständnis ab.“

Ich sagte, ich hätte kein Geständnis abzulegen, da ich mich nicht schuldig fühlte.

Auch der Staatsanwalt trat herzu und redete mit hastigen Worten auf mich ein. Ich schenkte ihm gar keine Beachtung. Darauf wurde mir befohlen, von der Stelle, wo der Schuß abgegeben worden war, mit eiligen Schritten bergan zu gehen und in die Lindenstaffeln einzubiegen. Ich tat, wie geheißen. Der Zweck der Übung war folgender. Meine Schwägerin hatte ausgesagt, sie habe, als ihre Mutter tot neben ihr niedersank, sich umgeblickt und gesehen, wie ein Mann mit aufgeschlagenem Mantelkragen flüchtigen Laufs in die Lindenstaffeln einbog. Man wollte ihr also Gelegenheit geben, sich darüber zu äußern, ob ich mit dem Mann identisch sei.

Ich wurde wieder in den Wagen verladen und nach dem Bahnhof gebracht. Der Auftritt hatte mir sehr zugesetzt, ich fühlte mich matt und elend. Aber der Herr Wachtmeister ließ mir keine Ruhe.

„Jetzt sagen Sie mir doch mal,“ hob er an, „wo habe Se denn nur den Revolver hingeschmisse, wie Se durch die Gärte nach dem Bahnhof gelaufe sind?“

Ich sah ihn verständnislos an. Ich hätte überhaupt keinen Revolver fortgeworfen und sei durch keine Gärten gelaufen.

Empfohlene Zitierweise:
Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/67&oldid=- (Version vom 31.7.2018)