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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.

Gegen elf Uhr gingen wir in Harwich an Bord. Der Dampfer war sehr schwach besetzt. Nachdem wir uns in der schönen und geräumigen Kabine häuslich eingerichtet hatten, begaben wir uns nach dem oberen Promenadendeck und spazierten noch eine Zeitlang plaudernd auf und ab, bis die Lichter des Hafens am Horizont verschwanden. Auf hoher See empfing uns ein heftiger Sturm.

Wir schliefen alle drei sehr gut und bis tief in den Vormittag hinein. Den größten Teil des Tages verbrachten wir im Liegestuhl. Prophete rechts, Prophete links, das Weltkind in der Mitte. Doch ließen meine beiden Wächter mir tatsächlich viel Freiheit, ich durfte allein überall herumgehen. Von den Mitreisenden war keiner sichtbar, das schlechte Wetter hielt sie in ihren Kabinen fest. Mittags waren wir drei die einzigen Teilnehmer an der Kapitänstafel. Der Kapitän, ein lustiger alter Seebär, führte die Unterhaltung, wie wenn er von der zwischen mir und meiner Eskorte bestehenden Beziehung nichts ahne, doch bemerkte ich wohl, daß er mich, wenn ich nicht hinsah, neugierig betrachtete.

Nachmittags stand ich lange allein am Heck. Himmel und Meer waren schwarz, unter mir schäumte der Gischt, den die Schiffsschraube aufwühlte. Über die Reling gebeugt, starrte ich in das tosende Wasser hinein und kämpfte mit der Versuchung, durch einen Sprung allem Leid ein Ende zu machen. Es war das erstemal, daß mir Selbstmordgedanken kamen. Eigentlich keine Gedanken, sondern nur ein vages Sehnen des Herzens nach Ruhe. Aber noch erwies sich der Wille zum Leben als stärker. Mochte kommen, was da wollte – und ich war auf das Schlimmste gefaßt –, es würde zu ertragen sein. Immerhin war es ein Trost, zu wissen, daß dieser letzte Ausweg allezeit offen stand. War das Maß der Leidensfähigkeit erschöpft, so konnte man ja gehen.

Da legte sich mir plötzlich eine Hand auf die Schulter, es war Mr. Smith, der mich ernsten Blickes anschaute und mir den alten Kernspruch entgegenhielt: „Never say die.“

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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/44&oldid=- (Version vom 31.7.2018)