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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.

habe. Der Staatsanwalt ließ mich ihm gegenüberstellen und fragte im freundlichsten Tone, dessen er fähig war: „Sie erkennen doch in dem Angeklagten Ihren Fahrgast wieder?“ Der Kutscher beschaute mich, beschaute den ihm aufmunternd zulächelnden Mann in der furchterregenden Robe und stotterte dann: Ja, er glaube, daß ich es gewesen sei; beschwören wolle er's nicht, das sei ja nun schon lange her; aber er glaube sicher, daß ich es gewesen sei. „Gut,“ nickte der Staatsanwalt, „das genügt; aber nun denken Sie einmal genau darüber nach: Sie sagen, Sie hätten den Fahrgast beim Alleehaus aufgenommen; das muß ein Irrtum sein; kann es nicht auch beim Kaiserin-Augusta-Denkmal gewesen sein? Es sind ja nur ein paar hundert Meter Differenz, da ist eine Täuschung leicht erklärlich. Denken Sie mal genau darüber nach, was meinen Sie?“ Beim Anblick des ratlosen Gesichts, das der arme Braun machte, konnte ich mich eines Lächelns nicht enthalten; als er das sah, mochte er wohl denken: Nun, ihm scheint es ja so recht zu sein, da kann es mir auch recht sein, also nur zu: Ja, es könne ja wohl auch beim Kaiserin-Augusta-Denkmal gewesen sein; er glaube zwar, daß es beim Alleehaus gewesen sei; aber das sei ja nun schon lange her, da könne er nichts beschwören.

Der Staatsanwalt war zufrieden, Braun wurde in Gnaden entlassen.

Ein Diener der Ermordeten, der am Nachmittag des 6. November beurlaubt gewesen war, sich angeblich nach einer benachbarten Ortschaft begeben hatte und später am Tatort erschien, war einigen Zeugen aufgefallen durch sein sonderbares Benehmen. Der Verteidiger glaubte diese Spur nicht unbeachtet lassen zu dürfen; er beantragte die Vorladung des Mannes. Es stellte sich heraus, daß sein gegenwärtiger Aufenthaltsort nicht bekannt war. Sofort wuchs der Verdacht und wurde in allen Zeitungen besprochen. So las denn auch der unschuldig Verdächtigte, der irgendwo in Hinterpommern saß, daß er plötzlich über Nacht berühmt geworden war, meldete sich sofort telegraphisch

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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/120&oldid=- (Version vom 31.7.2018)