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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.

Sodann kamen die Badener Zeugen an die Reihe. Es waren ihrer mindestens ein Dutzend, die im Laufe des Nachmittags den unheimlichen Fremden mit dem bleichen Gesicht und dem schwarzen Vollbart in der Umgebung der Villa Molitor beobachtet hatten; die einen hatten ihn auf einer Bank sitzen sehen, düster vor sich hinstarrend, andere waren ihm begegnet, wie er langsamen Schrittes daherkam, und hatten ihm nachgeschaut mit einer Mischung von Neugier und Grauen.

Der Postbeamte berichtete über das Telephongespräch. Es ließ sich genau feststellen, wann dasselbe stattgefunden hatte. Und nun trat eine sehr wichtige Zeugin auf, die dem Staatsanwalt eine schwere Enttäuschung bereitete. Es war eine Freifrau von R., die in halber Höhe des Berges, etwa halbwegs zwischen dem Hotel Meßmer und dem Hause meiner Schwiegermutter, eine Villa bewohnte. Diese war an dem Abend ausgegangen, um einen Brief in den Kasten zu werfen. Die Kaiser-Wilhelm-Straße hinuntergehend war sie in der Nähe der Lindenstaffeln dem Unheimlichen mit dem schwarzen Vollbart begegnet, der mit großen Schritten bergan eilte. Auf dem Rückweg vom Briefkasten begegneten ihr die beiden Damen Molitor. Zwanzig bis dreißig Schritte hinter ihnen kam ein Herr.

„Derselbe, den Sie vorher bergan hatten eilen sehen?“ fragte der Staatsanwalt.

„Nein, der war es nicht. Es war ein anderer, kleiner und älter, mit österreichischem Bartschnitt.“

Ich wurde der Zeugin gegenübergestellt. Ja, das war der mit dem schwarzen Vollbart. Der Staatsanwalt gab sich alle erdenkliche Mühe, der Zeugin klarzumachen, daß dies auch der Mann sein müsse, der hinter den Damen Molitor herging. Aber je mehr er sie in diesem Sinne zu beeinflussen suchte, desto bestimmter erklärte die Zeugin, es seien zwei verschiedene Männer gewesen. Schließlich riß dem Staatsanwalt der Geduldsfaden, und er rief

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Carl Hau: Das Todesurteil. Die Geschichte meines Prozesses.. Ullstein, Berlin 1925, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Todesurteil_(Hau).djvu/116&oldid=- (Version vom 31.7.2018)