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Ludo Moritz Hartmann: Zur Geschichte der antiken Sklaverei. In: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Bd. 11 (1894), 1–17

auch ein Mensch ist, dass die Unterschiede des Ranges und der socialen Stellung nicht natürliche, sondern menschliche Einrichtungen sind, während auch die Seele dessen frei sein kann, der „in Ketten geboren“, und unfrei die Seele dessen sei, der Sklave der Leidenschaften ist, wäre er auch noch so hoch gestellt. Dem entspricht es dann, wenn die späteren Juristen sich neben dem ius civile und dem ius gentium auch noch ein ius naturale construiren und zu der Erkenntniss kommen, dass die Sklaverei eine Einrichtung des ius gentium, nicht des „natürlichen“ Rechtes ist. Der Sklave wird seinem Herrn, so sagen sie, contra naturam vom positiven Rechte unterworfen. Trotzdem wird sich in der ganzen Juristenliteratur kein Wort finden, das gegen das Bestehen der Sklaverei gerichtet ist, die eben für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als sociale Nothwendigkeit angesehen wurde.

Auf demselben Boden stand das Christenthum, und auf diesem Boden musste es stehen; gegenüber den vielen Versuchen, die Abschaffung der Sklaverei für ein Werk der christlichen Kirche zu erklären, muss betont werden, dass das Christenthum gerade dadurch im Römischen Reiche zur Herrschaft gelangte, dass es sich den weltlichen Institutionen des Staates so weit irgend möglich anpasste und dass auf dieser Anpassungsfähigkeit des Katholicismus ein bedeutender Theil seiner historischen Grösse beruht. Und wenn es auch richtig ist, dass das Christenthum, wie es seinem Entstehen unter kleinen Leuten in der Provinz gemäss ist, von vornherein die hochmüthige Verachtung der körperlichen Arbeit, die der vornehme Römer zur Schau trug, nicht theilte, sondern missbilligte, so kann man andererseits nicht bestreiten, dass seine Dogmen in keiner Weise die Sklaverei verurtheilten. Allerdings heisst es: „Wer ein Knecht berufen ist in dem Herren, der ist ein Gefreiter des Herren; wer ein Freier berufen ist, der ist ein Knecht Christi“; aber „jeglicher bleibt in dem Beruf, darinnen er berufen ist“; und wie die Kinder ihrem Vater gehorchen sollen, so sollen die Sklaven ihren Herren gehorchen; allerdings sollen aber auch die Herren den Sklaven gegenüber Milde walten lassen, denn beim Herrn im Himmel ist kein Ansehen der Person[1]. Auf diesen Sätzen

  1. Vgl. 1. Cor. 7, 20. Ephes. 6, 5. Coloss. 3. 22. 1. Timoth. 6, 1.
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Ludo Moritz Hartmann: Zur Geschichte der antiken Sklaverei. In: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Bd. 11 (1894), 1–17. Mohr, Freiburg i. Br. 1894, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_011.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2023)