Eduard Keyserling: Seine Liebeserfahrung. In: Bunte Herzen | |
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an der Schmalseite des Hauses wieder Julchen sitzen, in ihrem blauen Kleide, die Brille auf der Nase, die Haube ganz rot vom Abendlicht. Sie hatte eine Schüssel auf dem Schoße – eine andere stand neben ihr auf der Erde, und sie schälte, kleine, goldgelbe Birnen. Als ich sie grüßte, nickte sie ernst. An der Haustüre mußte ich zweimal schellen, ehe mir geöffnet wurde.
„Die Herrschaft zu Hause?“ fragte ich leichthin und wollte eintreten.
„Der Herr Baron ist krank. Der Herr Baron empfängt heute nicht“, sagte der Diener und machte ein feierlich ausdrucksloses Gesicht.
„Krank? Es ist doch nicht schlimm?“
Die Ausdruckslosigkeit des Dienergesichtes nahm etwas Gequältes an.
„Nun denn, ich wünsche gute Besserung.“
War das nicht um die rasierten Lippen wie das Zucken eines säuerlichen Lächelns? Ich blieb auf dem Vorplatz stehen und dachte noch: Da war etwas nicht in Ordnung. Ich beschloß, Julchen zu fragen.
Als ich vor ihr stand, sah sie mich über die Brillengläser hinweg streng an.
Eduard Keyserling: Seine Liebeserfahrung. In: Bunte Herzen. Fischer, Berlin 1909, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Bunte_Herzen_(Keyserling).djvu/235&oldid=- (Version vom 31.7.2018)