Eduard Keyserling: Seine Liebeserfahrung. In: Bunte Herzen | |
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Faulheit, weiter zu leben. Als Schulmädchen hatte ich solch ein Gefühl, wenn ich den französischen Aufsatz bis zum letzten Augenblick aufgeschoben hatte, und nun kam die Faulheit, still sitzen wollte ich – schlafen – ja tot sein lieber und im Grabe Ruhe haben lieber als diesen Aufsatz schreiben über: La cruche va à l’eau tant qu’elle se casse“.
„Aber der Aufsatz wurde doch geschrieben“, warf ich ein.
„Ja, geschrieben wurde er.“
„Solche Stimmungen überkommen uns“, bemerkte ich, und es war wichtig, daß ich das sagte, obgleich ich es fühlte, daß meine Stimme dabei nicht den rechten Tonfall hatte: „Solche Stimmungen überkommen uns meist in Augenblicken, in denen wir uns anschicken, mit allen unseren Kräften dem Leben zu dienen.“
„O – glauben Sie?“
Wir waren an den Weiher gekommen. Hellbeschienen stand die Danaide in dem schwarzen Wasser und streckte ihre händelosen Arme lässig vor sich hin.
„Die hat Ruhe, so sagten Sie doch?“ fragte Claudia, „die Hände sind fort, wir müssen ruhen.“
Eduard Keyserling: Seine Liebeserfahrung. In: Bunte Herzen. Fischer, Berlin 1909, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Bunte_Herzen_(Keyserling).djvu/222&oldid=- (Version vom 31.7.2018)