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– saß da gerade – die Hände auf den Sitz gestützt. Der Baron plauderte weiter: „Wir sitzen hier in unserer Einsamkeit wie Spinnen und warten, ob sich jemand in unser Nest verirrt. Zuweilen fahre ich aus. Ein Jagdzug – da hab’ ich Sie gefangen. Ja – ja“ – Die Baronin sah mich an mit einem stetigen gleichgültigen Blick. Ich fühlte es, daß sie sich von dieser Jagdbeute nicht viel versprach. „Am Tage arbeiten wir“ – fuhr der Baron fort – „an meinem großen Reisewerke.“ „Sie auch, Baronin?“ fragte ich. „Ja, ich auch“, sagte sie. In ihrem Blick lag jetzt etwas Erstauntes. Ich wußte, sie wunderte sich darüber, daß ich so dasaß und sie nicht einmal betrachtete. Gut – – ich will sie betrachten und da fiel es mir auf, wie wunderschön ihr Mund war – diese schmalen hellroten Linien, an den Winkeln etwas heraufgebogen und in ihrem Schwung ich weiß nicht welch seltsame Bewegungs- und Ausdrucksbereitschaft. Jetzt lächelte sie ein wenig, die Lippen noch immer fest geschlossen, sie las wohl auf meinem Gesicht etwas wie Überraschung. „Gewiß arbeitet sie mit“, fuhr der Baron fort – „was ich vormittags schreibe, muß sie mir nachmittags vorlesen“.

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Eduard Keyserling: Seine Liebeserfahrung. In: Bunte Herzen. Fischer, Berlin 1909, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Bunte_Herzen_(Keyserling).djvu/168&oldid=- (Version vom 31.7.2018)