Sie wissen ja, wie sehr ich von meiner äußeren Umgebung abhänge. Milde warme Farben, edler Faltenwurf, schöngeschweifte Linien sind mir physisch wohltuend. Vielleicht erheben sich die wirklich großen Geister über die äußeren Dinge und lassen sich nicht von ihnen störend beeinflussen; aber ich bin nur ein ganz kleines Geistchen, fürchte mich vor dem Meer des Alltäglichen, Häßlichen, und fühle mich nur behaglich, wenn es mir gelungen, mir eine eigene kleine Insel zu schaffen und sie meiner persönlichen Eigenart entsprechend zu gestalten. Ich suche auch immer mich über das Nomadenhafte meines Lebens hinwegzutäuschen, indem ich unsere jeweilige Wohnung mit einem Eifer und Ernst dekoriere, als solle sie ein alles überdauerndes Stammschloß werden – und sie ist doch nie etwas anderes, als ein Zelt, das immer wieder abgebrochen und von neuem an anderm fremden Ort aufgeschlagen wird. In manchen der Häuser, die wir im Lauf der Jahre bewohnten, habe ich sogar Tür und Decken bemalt; heute neckte mich mein Bruder damit und fragte, ob ich diesem New Yorker Boarding House auch solche dauernde Erinnerungen meines vorübergehenden Aufenthaltes hinterlassen wolle. Das habe ich nun zwar nicht vor, aber, nachdem ich es nun etwas wohnlich um uns gestaltet habe, will
Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin 1903, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Briefe_die_ihn_nicht_erreichten_Heyking_Elisabeth_von.djvu/72&oldid=- (Version vom 31.7.2018)