in manchen europäischen Ländern so beliebte Beschwichtigungsformel: »Laßt nur die anderen koloniale Gebiete erobern, sie werden schon dran verbluten«, ist den Amerikanern ganz fremd. Eine Auffassung, die ungefähr so klingt, als ob ein Eunuche sich damit trösten wolle, daß man durch Liebesaffairen mitunter in Unannehmlichkeiten geraten kann. Die Nordamerikaner dagegen haben vorläufig durch Verkündigung der Monroe-Doktrin ihren ganzen Erdteil für Tabu erklärt, sie möchten aber am liebsten diese Doktrin auf die ganze Welt ausdehnen, wobei sie besonders den fernen Osten im Sinn haben, seitdem sie dort Fuß gefaßt haben. – Vorläufig spricht man in Amerika freilich nur von friedlicher, kommerzieller Expansion, aber Überraschungen kann es auf diesem Wege leicht geben, denn seit dem spanischen Krieg gibt es in Amerika eine Partei, die keine Scheu mehr vor europäischen Mächten kennt und sich allen ebenbürtig glaubt. Diese Leute würden bereit sein, es mit jedem aufzunehmen und, wie Mr. Bridgewater durchblicken ließ, am liebsten mit dem, den sie für den gefährlichsten Konkurrenten halten. Mr. Bridgewater warf die Bemerkung hin, daß an England als möglichen Feind am wenigsten gedacht werde. Mit ihrer einstmaligen Mutter würden die Amerikaner am liebsten gemeinsame Sache machen, um eine
Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin 1903, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Briefe_die_ihn_nicht_erreichten_Heyking_Elisabeth_von.djvu/58&oldid=- (Version vom 31.7.2018)