In der hiesigen Waldesstille, die so beruhigend auf uns Weitgewanderte wirkt, denke ich oft staunend an das Hasten und Ringen zurück, in dem wir in Peking gelebt haben. Dort schien Streben und Kämpfen, andere verdrängen und sich selbst einen Platz erobern der einzige Zweck des Daseins zu sein. Ich glaube, daß Sie, lieber Freund, verstehen werden, welche Erquickung dieser weltabgeschiedene Frieden mir gewährt. Denn oft, wenn ich Sie in Peking reden hörte, hatte ich die Empfindung, daß Sie das ganze dortige Treiben und Drängen wie von einer Höhe aus betrachteten, zu der all die kleinlichen Motive nicht heranreichten, daß Sie mit Ihren Gedanken in einer Stadt lebten, die allem Niedrigen wirklich eine »verbotene« war.
Sie dachten und fühlten ja sogar für die Chinesen, deren Wünsche und Anschauungen allen anderen als eine quantité négligeable erschienen, und die nur dazu da waren, um mit Gewalt in sogenannte Fortschritte getrieben zu werden, die dafür gestraft wurden, daß sie sich von dem einen hatten berauben lassen, indem der andere sie noch mehr beraubte. Ein jeder stachelte die Chinesen dazu an, gegen die Forderungen des anderen scharf aufzutreten
Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin 1903, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Briefe_die_ihn_nicht_erreichten_Heyking_Elisabeth_von.djvu/33&oldid=- (Version vom 31.7.2018)