Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Mit sieben Jahren wurden wir zur heiligen Beichte geführt; bei dem schwierigen Geschäfte der Gewissenserforschung mußte die Mutter natürlich helfen. Eine besondere Freude für uns Kinder war es, an der schönen Fronleichnamsprozession teilnehmen zu können, die ihren Weg fast ganz durch prächtige Waldungen nahm. Der sogenannte Kulturkampf hat ihr später leider ein trauriges Ende bereitet. Den Gipfel des kindlichen Glückes bildete selbstverständlich das Weihnachtsfest. Noch sehe ich den leuchtenden Baum mit der lieblichen Krippe, vom goldstrahlenden Engel überragt: o selige Kinderzeit! Die Abfassung des Neujahrsbriefes war ein Ereignis und verursachte manchmal nicht geringe Nöten.

So verstrichen ein paar stille, glückliche Kinderjahre. Da gefiel es dem lieben Gott, unsere Familie mit einer schweren Prüfung heimzusuchen. Unsere Mutter kränkelte seit längerer Zeit. Alle ärztlichen Mittel versagten; die Schwindsucht trat immer mehr in die Erscheinung. Auf dem Sofa liegend, ließ sie mich ein letztes Mal zu sich kommen, um Abschied zu nehmen. Am Allerseelenfeste des Jahres 1862 starb sie fromm und gottergeben, wie sie gelebt hatte, erst dreißig Jahre alt. Ihr Seelsorger bezeichnete sie als sein bestes Pfarrkind.

Für meinen Vater war dieser Verlust überaus schmerzlich; auch ich empfand ihn tief, wenn ich ihn auch nicht in seiner ganzen Größe erfaßte. Später im Leben habe ich oft die treue Mutter vermißt, aber auch immer wieder die Überzeugung gewonnen, daß sie am Throne Gottes viel besser für mich gesorgt hat, als sie es auf Erden hätte tun können. Ich glaube, der Fürbitte der heimgegangenen Mutter habe ich viel, sehr viel zu verdanken. Gottes Güte hatte übrigens auch für Ersatz gesorgt. Die Schwester meines Vaters, die gute, unvergeßliche Tante Sophie nahm sich um uns Kinder mit wahrhaft mütterlicher Liebe und Sorgfalt an, so daß wir uns nicht als Waisen fühlten.


Empfohlene Zitierweise:
Willibrord Benzler: Erinnerungen aus meinem Leben. Kunstverlag, Beuron 1922, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Benzler_Leben_6.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)